Die Haltung der Indifferenz
Ich finde, sieben Medaillen, zu denen außerdem noch sieben „Blecherne“ hinzukommen, sind keine Bilanz, für die man sich schämen müsste. Es glänzt auch das, was nicht Gold ist. Viel schöner und bewegender als Zahlen und Tabellen sind doch ohnehin die Geschichten, die eine solche Weltmeisterschaft schreibt. Und derer gab es in Frankreich einige zu erleben, an die man sich noch lange und gerne erinnern wird.
Ich denke da an die Geschwister Ricarda und Raphael Haaser, die beide an aufeinanderfolgenden Tagen relativ unterwartet in der Kombination auf das Podest fuhren. Oder an Nina Ortlieb, die 31 Jahre nach dem Olympiasieg ihres Vaters im nur wenige Kilometer entfernten Val-d‘Isère Silber in der Abfahrt gewann. Oder daran, dass sie und Conny Hütter mit Edelmetall dafür belohnt wurden, dass sie sich nach schweren Verletzungen mühsam zurückgekämpft haben. Oder an die sensationelle Silbermedaille des Griechen AJ Ginnis im Slalom. Und besonders an die großartigen Leistungen von Marco Schwarz, der als Allrounder bei fünf Bewerben am Start stand, bei allen fünf zur Siegerehrung der ersten sechs durfte und seiner Sammlung zwei weitere Medaillen hinzufügte. Das sind doch Ereignisse, über die man sich herzlich freuen kann.
Mir gefällt auch die nüchterne Herangehensweise des Kärntners, der, angesprochen auf seine guten Leistungen gerade bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen, meinte: „Ich mach nix Spezielles draus.“ Bei solchen Großereignissen komme es doch, genauso wie bei jedem anderen Rennen oder Training, nur darauf an, gut Schi zu fahren und zwischen vorgegebenen Toren möglichst schnell ins Ziel zu kommen. Und als er gefragt wurde, ob es ihn nicht ärgere, dass er bei seinem immerhin erst zweiten Abfahrtslauf um bloß vier Hundertstelsekunden das Podest verpasst habe, antwortete Schwarz: Wenn er an das jüngste Erdbeben oder den Krieg in der Ukraine denke, dann relativiere das sehr viel und es solle ihm nichts Schlimmeres passieren als dieser vierte Platz.
Der heilige Ignatius von Loyola spricht in seinen geistlichen Übungen von der Indifferenz gegenüber den Dingen dieser Erde. Der Mensch soll sich ihnen gegenüber gleichmütig verhalten, sie also soweit gebrauchen, als sie ihm zum Erreichens seines Zieles helfen und sie lassen, sofern sie ihn daran hindern. Diese Haltung der Indifferenz hilft zu einer Gelassenheit und unmittelbarer Gegenwärtigkeit, in der etwas ganz Spezielles passieren kann.
Alfred Jokesch, Sportseelsorger DSG Steiermark
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