Eine Brücke über den Wassergraben
Auch wenn diese drei Länder erst über Umwege zu diesem gemeinsamen Projekt zusammengefunden haben, auch wenn die Idee noch recht unausgegoren zu sein scheint, auch wenn die soziale und politische Situation in Marokko – etwa bezüglich der Einhaltung der Menschenrechte – ähnlich wie in Katar viele Fragen aufwirft, finde ich doch den Gedanken sehr interessant und unterstützenswert, eine Weltmeisterschaft über die Kontinentalgrenzen von Europa und Afrika hinweg zu veranstalten.
Das wäre ein kräftiger Kontrapunkt gerade in Zeiten, da Europa eine Politik der Abschottung gegenüber dem ärmeren – oder besser: armgehaltenen – Süden verfolgt und den Ausbau der „Festung Europa“ vorantreibt. Das Mittelmeer wird dabei zum Wassergraben um diese Burg, in dem unzählige Menschen den Tod finden. Diese schreckliche Tatsache kann uns Europäer*innen, das oft beschworene christliche Abendland, nicht gleichgültig lassen.
Einst hat Jesus am See Gennesaret vier Fischer angesprochen und sie aufgefordert, sich von nun an als Menschenfischer zu betätigen. Heute begeben sich Leute in der Seenotrettung im Mittelmeer mutig in das riskante Spannungsfeld zwischen Gesetzen und Gewissen, zwischen politischer Doktrin und Humanität, um ganz buchstäblich diesem Ruf Jesu zu folgen, um Menschen aus dem Wasser zu fischen und sie vor dem Ertrinken zu retten. Viele von ihnen tun es motiviert durch ihre christlichen Überzeugungen.
Durch eine WM-Endrunde in Ländern diesseits und jenseits der Straße von Gibraltar könnte der Sport helfen, eine Brücke über diesen tödlichen Burggraben zu bauen und trennende Mauern durchlässiger zu machen. Er könnte seine völkerverbindende Wirkung entfalten, könnte Ressentiments abbauen und stattdessen Brücken der Menschlichkeit und Bande der Freundschaft fördern. Auch davon lebt die Faszination des Sports.
Alfred Jokesch, Sportseelsorger DSG Steiermark
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