Land der Berge, Land am Meere
Nachdem in Paris die Beute an Edelmetall durch die heimischen Olympioniken lange Zeit eher bescheiden ausfiel, haben ausgerechnet am Hafen des 700 Kilometer entfernten Marseille österreichische Sportler*innen groß abgeräumt. In der Geschichte Olympischer Sommerspiele ist damit der Segelsport mit insgesamt fünf Goldmedaillen sogar die Paradedisziplin der Alpenrepublik. Valentin Bontus, der sensationell in der neuen Disziplin „Formula Kite“ gewonnen hat, ging zumindest „standesgemäß“ in einem Schianzug an den Start.
Vielleicht ist ja der Schlüssel zur Auflösung dieses Widerspruchs darin zu finden, dass für Landratten das Meer ein besonderer Sehnsuchtsort ist und das schwer Erreichbare einen eigenen Reiz ausübt. Wer schon für die Ausübung seines Sports große Hindernisse – und Entfernungen – zu überwinden hatte, wird vielleicht mit dem Druck eines olympischen Wettbewerbs leichter fertig. „Ihn zeichnet seine Lockerheit aus. Er macht sich keinen Stress, er weiß, was er kann“, sagte Roman Hagara, früherer Doppelolympiasieger im Segeln, über Bontus. Und dieser selbst erklärte seinen Vorteil gegenüben der Konkurrenz damit, dass er „recht viel Spaß am Wasser“ gehabt habe: „Wenn ich Vierter geworden wäre, so what? Mein Leben geht weiter.“
Für die Berliner Theologin und Windsurflehrerin Esther Göbel, die einen „Surfkurs mit Tiefgang“ anbietet, ist die Bewegung am Wasser, das Eins-Werden mit den Naturgewalten Wind, Wasser und Wellen, eine tief spirituelle, geradezu mystische Erfahrung. Wasser sei nicht der natürliche Lebensraum des Menschen. Das Surfen habe ihr neue Perspektiven für das Leben an Land aufgezeigt: „Dass Balance in Bewegung entsteht und man Druck selbst in der Hand hat. Dass es gut ist, zu wissen, woher der Wind weht und auf welchem Kurs ich unterwegs bin. Dass es festen Stand auf wackligem Grund gibt. Dass ich zwar gerne alles unter Kontrolle und im Griff habe, aber sich Loslassen so unendlich gut anfühlt.“
Auch dies kann unserer Sehnsucht nach dem Meer zu Grunde liegen. Und es kann gerade Menschen, die im Land der Berge leben, einen Mehrwert schenken – nicht nur bei Olympia.
Alfred Jokesch, Sportseelsorger DSG Steiermark
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